Die Menschlichkeit der Götter

Die Menschlichkeit der Götter
Zu Eike Mewes Buch „Einer trage des anderen List"
von Rüdiger Bernhardt

Die Themen des Buches sind bekannt, ihre Behandlung überraschend. Oder würde man ohne weiteres Zeus Affäre mit Alkmene, bei der er die Gestalt ihres Mannes Amphitryon annahm und Herakles zeugte, als Quelle für die Geburt Jesu ansetzen? Es scheint alles bekannt zu sein und es ist doch alles anders, denn auch der Titel ist eine Variation. Eike Mewes (geb. 1940), Autor und freischaffender Theaterregisseur, hat seinen Büchern ein neues hinzugefügt, das unterhaltsam und anregend ist. Er hat sich den antiken Göttern und Heroen aus Griechenland und Rom gewidmet. Noch ehe er zu seinen Themen kommt, macht er auf eine Doppeldeutigkeit aufmerksam, die sein methodisches Vorgehen bestimmt: Was bedeutet „verraten" in dem Satz „Die heiligen Schriften verraten die Wahrheit"? Wird Wahrheit offenbart oder verfälscht? Mewes jedenfalls versucht, Wahrheiten in den Überlieferungen zu finden; So erklärt er etwa den Antisemitismus der Christen und Muslime mit dem Hass, den diese auf die „Originalität" der jüdischen Religion haben, ein interessanter Gedanke. Die von Mewes herbeizitierten Götter kennt der Leser vom Sprichwort und der Redewendung („die Achillesferse") bis zur Technik: Mewes macht auf das Fahrrad Marke „Herkules" aufmerksam. Es geht aber nicht um Technik, sondern um die Aktualität antiker Gestalten, in denen der Autor Interpretationsmuster menschlicher Haltungen und Gefühle erkennt. Auch als Götter und Helden ihre Göttlichkeit längst verloren hatten, blieben sie Personifikationen dieser Verhaltensweisen. Ihnen ging Mewes nach und bezog Bacchus und „Über die Eifersucht", Ikarios und „Über den Genuss" usw. aufeinander. Das klingt verwunderlich, denn wer verbände nicht Bacchus mit Wein und Ikarus mit Fliegen, aber es weist auf das Anliegen des Buches hin: Es geht ihm um Geschichten. Um aktuelle Geschichten übrigens, weshalb sich der Autor auch fortwährend an seine Leser wendet und sie einbezieht, auch mit Warnungen, mit Recht: „Der Autor bittet vor allem empfindsame Leserinnen dieses Buches vorab um Nachsicht und appelliert an ihren Humor." Und Zeus kann sogar noch 1853 Besitzer eines Weinberges am Rhein sein und verführt dort die schöne kokette Semele, die sich gern verführen lässt.
Das klingt unterhaltsam und ist es auch. Auf die Genauigkeit der Überlieferungen, auf die vielfältigen Variationen sollte man sich nicht orientieren, auch davor warnt der Autor. Seine „freien Interpretationen" seien „bewusste Absichtserklärungen". Eine will unterhalten, hin und wieder bis in heitere Freizügigkeit getrieben. Das geschieht, wenn von Liebe und Sinnlichkeit gesprochen wird. Auf die ernsthafte Absicht weist der Titel hin. Er variiert das berühmte Wort „Einer trage des anderen Last" aus dem Galater-Brief, dem ältesten der Paulus-Briefe, das, oft zitiert, sogar zum Filmtitel aufgestiegen ist. Als Atlas Herkules die ganze Last des Himmels auf die Schultern legte, erkannte er, dass der Spruch eine Täuschung war. Statt „Last" hatte „List" zu stehen: Atlas genoss die Befreiung von seiner Last, hatte er doch „plötzlich die göttliche Wahrheit" in dem Spruch erkannt. Nun ist das ein Widerspruch, denn wie sollte der antike Atlas um eine viel später verkündete „göttliche Wahrheit" wissen. In diesem Widerspruch verbirgt sich die innerste Absicht des Autors: Mit seinem Buch will er sich gegen alle Formen der gegenwärtig heftig betriebenen Missionierung wenden. Diese Versuche sind in fast allen öffentlichen Bereichen deutlich zu erleben, von den geplauderten Oberflächlichkeiten des Volksmusik-Moderators Florian Silbereisen bis zu den Versuchen, den Ethikunterricht an den Schulen zu delegitimieren. Mewes unterscheidet schon in seiner Eröffnung zwischen dem Wissen, durch das Prozesse verfolgt werden, die zu neuen Erkenntnissen führen, „ein fortschreitender Denkprozess", und dem Glauben, der „Stillstand" bedeute, weil er auf „einmal Aufgeschriebenem" verharre. Die antiken mythischen Gestalten sind für ihn dabei eindeutig Personifikationen eines Vor-Wissens, aus dem der Mensch zum Wissen zu gelangen versucht. Antike Mythen sind so modern wie die Kirche überholt. Um seiner Absichten willen hat der Autor die Mythen verkürzt, er wollte den Gegensatz von Wissen und Glauben bedienen. Wichtiges ist dabei auf der Strecke geblieben: So erscheint die antike Götter- und Heldenwelt als so sinnenfroh und heiter, dass für Kriege, Perversitäten von Kindermord bis Muttermord kein Platz bleibt. Manchmal entsteht der Eindruck, der Autor verirre sich in seinen Absichtserklärungen und entschuldige, was nicht zu entschuldigen ist, Zeus" demütigende Behandlungen der Frauen gerät bei Mewes zum Beispiel erwünschter Lustbarkeit. Dabei können die Götter nicht anders sein als die Menschen und die sind auch so, dass Gott, wenn es ihn gäbe und er „seine" Geschöpfe handeln sähe, „wohl Atheist werden" würde.
Am wenigsten kommt Mewes mit der Vielfältigkeit des Prometheus zurecht, der als einziger unter den Titanen und Göttern richtige Arbeit meistert und Ställe ausmistet und der deshalb die Dichter bis heute am meisten beschäftigte. Aber Mewes nicht. So entstehen Irrtümer, die er wie Wahrheiten verkündet, etwa die polemisch gegen Marx gesetzte These: „Es gilt, die Welt zu erklären, nicht zu verändern!" Das schließt sich nicht aus, sondern bedingt einander. Manches wird störend salopp abgetan, die Suche nach Atlantis sei „albern" und bei anderem, wie der Suche nach Troja, hat Mewes wesentliche Streit- und Klärungsprozesse nicht wahrgenommen. Man muss mit ihm nicht bei jeder Idee und These einverstanden sein, aber sein unterhaltsam entschiedenes Auftreten gegen die demagogisch wirkende religiöse Missionierung ist nicht nur notwendig und anregend, sondern fordert Sympathie und Zustimmung heraus.

Anmerkung des Autors:
Es ist nicht meine Absicht, die Meinung eines Rezensenten zu kritisieren. Ich erlaube mir nur, auf zwei sachliche Fehler hinzuweisen, die dem Kritiker unterlaufen sind, in meinem Buch aber nicht vorkommen:
1. Ikarus (der Flieger) ist nicht mit dem von mir erwähnten Genussmenschen Ikarios identisch.
2. Die Taten wie das Ausmisten der Ställe etc. ist von mir korrekt dem Herakles zugeordnet und nicht dem Prometheus, wie in der Kritik irrtümlich zu lesen ist.
Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich die mythologischen Gestalten in ihrem ursprünglichen Verhalten unverfälscht wiedergebe.
Eike Mewes

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