"Das ist so herrlich dämlich, das übernehmen wir." Diesen Satz habe ich spontan dahin gesagt, als ein Schauspieler bei der Probe einen witzigen Einfall hatte. Nach der Probe ging mir der Satz wieder durch den Kopf, und ich musste lachen über die herrliche Dämlichkeit und die Fähigkeit der deutschen Sprache, scheinbar sich widersprechenden Wörtern einen Sinn zu geben, ohne den Widerspruch zu empfinden. Herrlich stammt von Herr ab und dämlich kommt von Dame, niemand könnte folglich so einen unsinnigen Satz sagen wie "Das ist so männlich weiblich, dass ...". Doch es gibt sogar den Begriff "Mannweib", und man kann sich durchaus etwas darunter vorstellen. Diese eigentümlichen Besonderheiten sind es, die mich an der deutschen Sprache fasziniert haben und heute immer noch faszinieren.
Als Theaterregisseur hatte ich mein Leben lang "vorzüglich" mit Sprache zu tun, mit hoher Dichtkunst genauso wie mit Alltagssprache. Man hat nur das geschriebene Wort zur Verfügung, um aus einer Bühnenfigur einen begreifbaren Menschen zu formen. Man muss in die Worte hineinhorchen, um sich vorstellen zu können, wie der Mensch aussieht, der diese Worte spricht; wie er sie spricht, mit welchem Ausdruck, wie er handelt, wie er sich verhält. Wie inszeniere ich ihn, damit die Figur als Mensch verständlich wird, ansehnlich?
Vielleicht haben Sie es schon bemerkt, ich verwende gerne doppeldeutige Wörter. "Ansehnlich" zum Beispiel: Der entstandene Mensch soll anschaubar sein und Ansehen genießen. Oder "vorzüglich", Schiller meint damit vorzugsweise. Weil es zu sehr nach Eigenlob klingt, schreibt man lieber "vorrangig". Ebenso verhält es sich mit "vorstellen". Eine Vorstellung ist Fantasie, Präsentation und Aufführung. Und was ist "verständlich"? Der Zuschauer soll die Figur inhaltlich und akustisch verstehen, sinnlich begreifen und menschlich Verständnis für sie entwickeln. Nur durch Identifikation mit der Figur, durch Wiedererkennung entsteht lebendige Wirklichkeit. Wenn man schreibt, verhält sich der Vorgang umgekehrt zur Tätigkeit des Regisseurs. Man sieht einen Menschen im Geiste vor sich und überlegt, welche Worte lege ich ihm in den Mund, damit der Leser über die Wörter den gedachten Menschen erkennen kann. Der Schriftsteller hat erst die Figur im Kopf ohne Worte, diese muss er bei der Beschreibung der Figur dann finden. Auch wenn er ein Vorbild kopiert, muss er die Figur sprachlich neu erschaffen. So oder so, man ist gezwungen, sorgfältig, präzise und analytisch mit Sprache umzugehen. In solchen Momenten kann es durchaus zu Schreibblockaden kommen, denn man ringt tatsächlich um das richtige, das treffende Wort und es fällt einem im entscheidenden Moment partout nicht ein.
Ich habe diese Methode zu schreiben versuchsweise mal auf die Spitze getrieben, man kann auch sagen, ich habe mich als Dramatiker versucht. Für mein Buch Der Tag ist nur der weiße Schatten der Nacht sind drei Erzählungen entstanden, die hauptsächlich vom Dialog leben. Ich habe die Beschreibung der Handlung, Orts- und Zeitangaben und die Charakterisierung der Personen auf das sparsamste, auf das zum Verständnis notwendigste beschränkt, um den Leser dazu zu bringen, sich die handelnden Personen nur über das gesprochene Wort vorzustellen und den Ablauf sozusagen mimisch in seiner Fantasie vorbeiziehen zu lassen. Da es sich nicht um fertige Drehbücher mit Kameraeinstellungen und technischen Angaben handelt, die Geschehnisse aber wie ein fortlaufender Film erzählt werden, habe ich sie folgerichtig Filmgeschichten genannt. Die mittlere Erzählung Tod auf Raten habe ich einmal für die Bühne leicht umgeschrieben und mit meiner Theatergruppe inszeniert. Das hat hervorragend funktioniert, plötzlich war ich Autor, Regisseur und Dramaturg in einer Person, eine wunderbare Erfahrung. Und selbst Leser, die die Geschichte kannten und nun Zuschauer waren, konnten sich der Spannung nicht entziehen und sind begeistert mitgegangen.
Beim Theater kommt hinzu, dass auch ältere Dramen und Stücke aus einer anderen Zeit und anderen Kultur gespielt werden sollen. Die Sprache ist fremd, benutzt Worte, die veraltet sind, oder Übersetzungen geben manche Begriffe nur unzureichend wieder. Neben dem Sprachgefühl benötigt man sprachwissenschaftliche Kenntnisse, etymologisches Wissen. Auch hierzu ein Beispiel von einer Theaterprobe: In Amsterdam geschah es, dass sich ein holländischer Schauspieler bei der Einstudierung einer körperlichen Auseinandersetzung schmerzhaft verletzte. Er unterbrach die Szene mit dem Satz: "Das ist sehr peinlich". Ich stutzte für einen Moment, ging dann zu ihm und tröstete ihn mit den Worten, das müsse ihm doch nicht peinlich sein, das könne jedem passieren. Er Verstand nicht und meinte: "Es tut sehr weh." Nun kapierte ich, er benutzte das alte Wort Pein für Schmerz, ohne zu wissen, dass der adjektivische Gebrauch des Wortes im Deutschen einen völlig anderen Sinn bekommen hat. Trotz "Pein" haben wir über dieses Missverständnis gelacht, auch weil ich ihm erklärte, ich würde ihn fortan nicht mehr peinigen.
Da fallt mir wieder das herrlich-dämliche Wortspiel ein. Ohne etymologisches Wissen könnte man meinen, dass die Herren herrliche Geschöpfe sind, während die Damen ziemlich dämlich daherkommen. Diese Wendung gibt allenfalls die Pointe für einen Witz, korrekterweise muss man eingestehen, dass die Adjektive durch herrschaftlich und damenhaft ersetzt werden müssen. Bei klassischen Stücken kann man die Sprachentwicklung sehr gut verfolgen. Ich war häufiger gezwungen, jungen Schauspielern Worte von Goethe oder Schiller zu erläutern, weil sie diese nicht mehr verstanden. Es ist nicht verwunderlich, dass Sprachwissenschaftler an einem Goethe-Wörterbuch arbeiten. Wenn wir uns die alten Texte erschließen und erhalten wollen, sind wir auf diese Wörterbücher angewiesen.
Mich hat die Theatererfahrung angeregt, ebenfalls ein Wörterbuch zu verfassen. Ich hatte Lust mit Sprache zu spielen. Ich habe eine Vorliebe für Sprachwitz und eine Freude an der Vielfalt sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten entwickelt. lm Laufe der Zeit ist ein Zettelkasten entstanden, in dem ich die besten Einfälle gesammelt habe. Diese Notizen haben schließlich zu meinem ersten Buch Auf eín Wort geführt, das über Wörter handelt, Wortklaubereien mit ausgesuchten Begriffen, kleine Geschichten über die unterschiedliche Verwendung des gleichen Wortes und die Wandlung in der Bedeutung im Laufe der Zeit. Um ein kleines Beispiel zu geben: Das Wort "merkwürdig" bedeutete ursprünglich bemerkenswert, ein Sachverhalt ist würdig bemerkt zu werden, er ist es wert, dass man sich ihn merkt. Heute gebraucht man das Wort eher im Sinne von seltsam. Meine Wortsammlungen ergaben drei weitere Bücher, die ich als dreibändige Reihe unter der Überschrift Wort-Spiele zusammengefasst habe. Im ersten Band finden Sie Wörter mit doppelter oder mehrfacher Bedeutung, die als Ratespiel aufgeführt sind. 1906 sogenannte "Teekesselchen", Homonyme, sind zusammengekommen, inzwischen ist die Sammlung auf 1950 Begriffe angewachsen. Der zweite Band widmet sich dem Doppelsinn von Wörtern, der scherzhaften hintersinnigen Bedeutung eines Begriffes. Der Witz liegt im gedankenlosen Sprachgebrauch wie bei der herrlichen Dämlichkeit und erschließt sich erst, wenn man das Wort wortwörtlich nimmt. Dann ist beispielsweise ein Bankhaus ein Haus aus lauter Banken und ein Flaschenzug ein Zug aus lauter Flaschen und so weiter. Die Bücher sind als lustige Bilderrätsel konzipiert, besonders für Kinder sehr geeignet, die ihren Wortschatz erweitern können und Spaß am Wortwitz haben. Sie sind deshalb farbig illustriert. Zeichnen Sie Ihrem Kind mal ein wortgenaues Gänse-Blümchen und einen Feder-Ball und lassen Sie es das Bild raten. Sie werden ihre Freude beim Lachen des Kindes haben. Ähnlich der dritte Band, nur sind diesmal Redewendungen statt einzelner Wörter zusammengetragen. Stellen Sie sich einfach bildhaft vor, wie das aussieht, wenn Sie den Ast absägen, auf dem Sie sitzen. Oder malen Sie, wie Pilze aus dem Boden schießen, ein Mensch Wurzeln schlägt oder ein Brett vor dem Kopf hat.
Beim Umgang mit klassischen Stücken ist meist eine Kenntnis der altgriechisch-römischen Mythologie erforderlich. Die Dichter gaben sich einer Renaissance der Antike hin. Sie suchten das humanistische Ideal und brachten die mythologische Götterwelt auf die Bühne, sie übertrugen Form und Inhalt der antiken Dramen in ihre Gegenwart so geschickt, dass sich die alte Welt und die Moral ihrer Zeit problemlos ergänzten. Weil in den Gestalten der antiken Dramen alles denkbare Verhalten von Menschen allgemeingültig vorgegeben ist, überrascht es nicht, dass die Psychoanalyse ihre Erkenntnisse gerade aus diesen Vorbildern gewann.
Ich habe mein Studium danach ausgerichtet, dass ich besser für die Theaterpraxis gerüstet bin, und beschäftigte mich mit Theaterwissenschaft im Sinne von Kulturgeschichte, mit der Weltliteratur im Vergleich miteinander und mit Philosophie. In der vergleichenden Literaturwissenschaft (Komparatistik) werden so interessante Themen wie Motivgeschichte behandelt, oder auch die Veränderungen, die das Motiv in unterschiedlichen Kulturkreisen erfährt. Auf diese Weise dringt man tiefer in die unterschiedlichen Intentionen ein, in das Typische einer Kultur und das Wesen einer Epoche. So ist es leichter, zum Beispiel Shakespeare aus seiner Entstehungszeit heraus zu lesen, oder Schillers Mut und Brisanz bei der Darbietung des Freiheitsgedankens einzuordnen. Denn wie anders will man begreifen, dass "Die Räuber" Schiller zur Flucht aus seiner Heimat nötigten und "Wilhelm Tell" weder während der Nazizeit noch in der DDR jemals aufgeführt werden durfte.
Ich habe es als meine Aufgabe als Regisseur aufgefasst, diese Zeitkritik zu entdecken und Vergleiche zu heutigen Zeiterscheinungen ausfindig zu machen, um auch diese kritisch zu begleiten. Es geht um stückgerechte Aktualisierung, nicht um Verfälschung. Das Theater darf kein Museum sein, sondern ist eine "moralische Anstalt" (Schiller). Diesem Grundsatz fühlte ich mich auch als Autor verpflichtet, als ich die Idee zu meinem dritten Buch hatte. In meinen (Un) moralischen Geschichten.
Einer trage des anderen List habe ich meine Gedanken zur Moral, zu Religion und Ideologie und ihrer Beschneidung von Recht und Freiheit, zum Gehorsam und zum freien Willen des Menschen, zu Glauben und Wissen ausgebreitet und mich eingehend mit der hellenistischen Götterwelt auseinandergesetzt. Während uns das Christentum weismachen möchte, dass Gott den Menschen erschaffen hat, werden die Götter auf dem Olymp so menschlich vorgestellt, dass man zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangt, dass die Götter und auch der allmächtige Gott der Christen nur eine Erfindung des Menschen sein können, so menschenähnlich sind die Götter, so gottähnlich ist der Mensch. Gleichwohl habe ich viele epigonale Momente in den biblischen Texten aufgedeckt, denn in der humanistischen Philosophie von Platon und Aristoteles sind fast alle Glaubensgrundsätze, wie die zehn Gebote, bereits vorformuliert.
lm Humanismus ist der Mensch das Maß aller Dinge und der einfache Lehrsatz lautet: Der Mensch muss dem Menschen ein Mensch sein. Und zwar der Mensch so wie er ist, nicht wie er sein soll oder sein könnte oder ein Gott ihn geschaffen hat. Autoren, Theaterleute, Künstler jeder Couleur versuchen, den Menschen so menschlich genau wie sie können darzustellen, kein höheres Wesen aus ihm zu machen, die eigenen alltäglichen Erfahrungen einzubringen, der Wahrhaftigkeit so nahe wie möglich zu kommen. Die Wiedergabe erlebter Realität hat mich dazu gebracht, Theater zu machen und Bücher zu schreiben. Ich würde auch Bilder malen, wenn ich es könnte, oder Musik komponieren, wenn ich Talent dazu hätte. Meine Idee vom menschlichen Leben kann man lesen. Die Symbiose von Theaterregisseur und Autor ist aufgegangen. Ich bin dabei zum Resultat gekommen: Der Mensch weiß mehr, als er glauben darf. Der Künstler ist aufgefordert, exakt das auszudrücken, jeder auf seine Art, ich mit Worten.