Märkische Allgemeine Dienstag, 4. Juli 2006
Wenn Märchen sehr heutig werden
Foto: Klaus Schlage
Eher unspektakulär sind die Proben des Theaterkurses der Kreisvolkshochschule Teltow-Fläming Regisseur Eike Mewes (links) übt mit Daniel Warmuth und Annelore Brüning das Stück "Ssäh la wieh" in der Schule am Waldblick in Mahlow ein.
VON ELFRIEDE STEYER
RANGSDORF Stets etwas Besonderes ist es, wenn zu einem künstlerischen Ereignis in die Evangelische Kirche eingeladen wird. Am Sonntagabend nun gar eine Premiere. Die Theatergruppe „Buntspecht" der Volkshochschule Teltow-Fläming spielte „Allah hat hundert Namen" nach einem Hörspiel von Günther Eich. In Szene gesetzt hatte es Eike Mewes, der mit der Gruppe seit langem arbeitet.
Da ging ein Märchen wie Tausend und eine Nacht über die Bühne. Es beginnt in alter Zeit in Damaskus und führt bis nach Paris. Gerichtet ist es auf die interkulturellen Probleme unserer Tage. Raum und Zeit sind miteinander verwoben. Der alte Ägypter Hakim (Martina Ziegler) erzählt einem Jüngling (Fabian Frenzel) von seinem Streben nach Weisheit. Sie glaubt er zu erlangen, wenn er nach den 99 bekannten Namen, die mit dem Namen Allah verbunden sind, den hundertsten Geheimnis umwitterten heraus findet.
Deshalb begibt er sich auf eine Reise, die ihn nicht nur bis Paris, sondern auch über tausend Jahre hinweg in die Moderne führt. Dabei wird er von der Stimme des Propheten - von der Empore wie aus höheren Regionen - geleitet, auch auf die Probe gestellt.
Ein Märchen, natürlich. Aber ein Märchen, in dem sehr reale Erkenntnis steckt. Hakim vertraut dem Propheten, zweifelt aber auch an ihm. Meint das Stück auch, wozu blindes Gottvertrauen führen kann? Ist der Mensch nicht sich selbst verantwortlich? Hakim bekommt es zu spüren.
Dramaturgisch ist gut gelöst, dass auf der einen Seite der alte Hakim berichtet und im Wechsel seine Erlebnisse als junger suchender Hakim (Kathrin Plaschke) zu verfolgen sind. Eine Liebe zwischen ihm und Fatime (Jalda Kabierski) blüht auf. Sie ist die Tochter des Imam von Alamut (in einer kurzen Szene Konrad Gronke). Dabei nutzte es der Autor, auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander im Orient und dem Islam zu beleuchten. Gute Dialoge zwischen dem Paar auf einem Diwan stehen dafür. Während Fatime in Damaskus einen Handel beginnt, der bald zu Reichtum führt, besteht Hakim (in Paris Rolf Kosmetschke), nun europäisch gekleidet, die verschiedensten Abenteuer, bei einem Schuhmacher, in einem Restaurant, mit der Patronin eines Freudenhauses (Ilona Leopold), Ninon (auch Jalda Kabierski), einer Prostituierten, auf der Bank und im Postamt. Immer kurz vor seinem Ziel, erfährt er den hundertsten Namen Allahs nicht. Ausgeraubt kehrt er zu Fatime heim, die inzwischen auch Pleite ist. Spät müssen sie erkennen, dass es nicht ein Name, dass Allah oder Gott - wie man will - überall ist.
Zur Realität der märchenhaften Geschichte gehört auch, dass es in den Gesprächen gut verpackt, sowohl um das Verhältnis zwischen Mohammedanern und Christen geht, als auch um eine tausendjährige Kultur, um Medien im 20. Jahrhundert, Politik und Politiker.
Kein einziger der Darsteller ist Schauspieler von Beruf. Sie sind Angestellte, Beamte, selbständig Tätige, Schüler. Sie schlüpfen in Rollen aus Freude an der Darstellung anderer Menschen. Sie widmen ihre Freizeit geradezu aus Leidenschaft der Kunst der Verfremdung. Das war auch an diesem Abend, da sie das erste Mal mit diesem Stück vor die Öffentlichkeit traten, spürbar. Seit dem vergangenen Herbst wurde einmal in jeder Woche geprobt
Das Publikum, darunter viele jugendliche Zuschauer, spendete herzlichen Beifall.